Kirche und Theologie vor der Armutsfrage  (erstmals veröffentlicht: 1983)

I. Die folgenden Ausführungen nähern sich einem verdrängten Thema. Auch der Verfasser, seit einigen Jahren in der Hilfe für sogenannte „Nichtseßhafte" tätig, war nicht darauf gefaßt, in Deutschland Armen zu begegnen, auch nicht in seiner Arbeit, die er sich eher als Hilfe für „Randgruppen, Außenseiter, Sonderlinge und Eigenbrötler" vorgestellt hatte.
Doch wenn es Arme waren und sind, die ihm begegneten, wie läßt sich ihnen, ihrer Armut und dem eigenen Haben gegenüber standhalten? Wie läßt sich Menschlichkeit retten? Der Rückgriff aufs Depot der einst erlernten und später hinzugewonnenen Theologie lag nah. Doch was, wenn sie auf diese Frage stumm blieb und alte Antworten aus den Glaubensursprüngen vergessen und verlernt hat? Kann dies der letzte Stand der Dinge bleiben? Aus dieser Spannung ist der Versuch erwachsen, das Depot mit neuen, alten Fragen und Zusammenhängen aufzufüllen. Ein erster Durchgang ist hier festgehalten.
Das Thema „Armut" stößt seit wenigen Jahren - z. B. auch bei Kirchentagen - wieder auf nachdenkliche Reaktionen. Gleichzeitig wird aber auch die Abwehr sichtbarer, der es schon lange unterliegt. Es eignet sich nicht für spektakuläre Schaudarstellungen. Es geht an die Wurzel. So mußte die von Heiner Geißler 1976 im Rahmen der „neuen sozialen Frage" entfachte Armutsdebatte scheitern, weil sie allzu vordergründig darauf zielte, dem politischen Gegner das Thema, nicht den Armen die Armut wegzunehmen. Sie endete in Zahlenspielen. Doch machen z. B. die Berichte aus der dritten Welt, etwa in den Medien und besonders seitens der großen kirchlichen Spendenhilfswerke, auch die Betroffenen - wenigstens in Umrissen - sichtbar, besonders im Zusammenhang politischer, wirtschaftlicher, klimatischer und gesundheitlicher Katastrophen. Die Mitwirkung der Spender an der Entstehung und Vermehrung von Armut, das Wechselspiel zwischen Überproduktion und Überernährung in den reichen Ländern und der Armut in den ,Entwicklungs'-ländern bleibt freilich auch hier noch weithin unbewußt. Eine Ahnung davon drückt sich allenfalls in Schuldgefühlen aus, welche die Spendebereitschaft nicht selten begleiten.
Gleiches gilt für die gegenseitige Abhängigkeit von Wohlhabenheit und Armut im eigenen Land. Die schiefe Debatte um das „soziale Netz" verleugnet hartnäckig das Netz der wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Leistungen, das die Armen seit jeher und bis heute knüpfen und in dem sich Wohlstand bildet und vermehrt.
Die gegenwärtige wirtschaftliche Situation beruht auf politischen Entscheidungen. Sie läßt die Zahl derer, die unter die Armutsgrenze fallen, weltweit steigen. Dabei darf jedoch die lange, nie wirklich unterbrochene Armutstradition in Deutschland nicht übersehen werden, die sich bis in die Erscheinungsformen hinein kaum von vor- und frühindustrieller Armut unterscheidet. Kurzatmige Strategien dagegen wären eher eine Form der Abwehr als ein Sich-Einlassen darauf. Auch deshalb wird das Thema im Folgenden aus theologischer Sicht angegangen.
1. Armut ist in reichen Ländern und für die Reichen in armen Ländern vor allem verdrängte Armut. Diese Feststellung umfaßt das Bewußtsein wie die politische Realität. Eingehende, erregende Analysen aus Arbeitsgruppen der Oekumene sprechen von der ,Marginalisierung' der Armen („Für eine mit den Armen solidarische Kirche": Dokument der .Kommission für kirchlichen Entwicklungsdienst' (CCPD). deutsch: Juni 1980 als Dokumentation 25 a/80 der epd-Zentralredaktion in Frankfurt/M., dort S. 5 ff).. Ihre Zahl und ihr Wert, d. h. ihre tatsächliche gesellschaftliche Verwertung, ihre Armutsbedingungen und -erfahrungen sowie ihre Moralität werden heruntergespielt oder bestritten.
So wird z. B. die Arbeit der Armen mit einem Minimum oder unter Ausschluß von Rechten vermarktet, hierzulande kaum anders als in der 3. Welt. Ihre - für die Volkswirtschaft oft beträchtliche, u. U. ausschlaggebende - Arbeitsleistung und nicht selten hohe Arbeitsbereitschaft wird verarmt, entrechtet. Gleiches wird ungleich behandelt: nachlassendes Arbeitsinteresse wird nicht als gerechte Reaktion auf fehlende oder verweigerte Bestätigung- finanziell und rechtlich -, sondern als deren Leugnung gewertet und dem Verarmten als Nichts-Nutzigkeit oder willentliches Versagen angelastet. Und das, obwohl jeder wissen kann, daß auch seine eigene Arbeitsleistung und -bereitschaft in entscheidendem Maße von gesellschaftlicher Anerkennung, ausgedrückt in rechtlicher Sicherung, finanziellem Ertrag und erworbenem Status, abhängt.
So wird z. B. die Bildungsfähigkeit und -bereitschaft der Armen bestritten, indem auf ihre ,Andersheit' verwiesen wird, die oft genug nur die Folge nackter - und oft intelligenter- Überlebensstrategien ist. Und das, obwohl niemand, der noch nicht um sein Überleben kämpfen mußte, wissen kann, wieviel von seiner bisher angeeigneten kulturellen Identität er unter solchen Bedingungen retten würde. Ebenso wird z. B. die Moralität der Armen angezweifelt, obschon jeder genau weiß, daß ihm selbst ein Überleben in Armut - wenn überhaupt - nur mit einem Höchstmaß an moralischer Kraft möglich wäre oder - etwa in der Nachkriegszeit - möglich war.
2. Der Arme ist „der, mit dem man alles machen kann" (H. Holtmannspötter). Seine spezifischen Lebensleistungen werden ihm nicht abgenommen, geschweige denn gutgeschrieben. Nicht selten wird er allein aufgrund seiner Armut, z. B. weil er keinen andern Aufenthaltsort hat als auf öffentlichen - d. h. für alle offenen! - Straßen und Plätzen, Passagen oder Bahnhöfen, kriminalisiert. Hochrangige Gremien wie z. B. der ,Rechtsausschuß des Deutschen Städtetages' dürfen dem noch einen Schein moralischer und rechtlicher Dignität geben, ohne breiten Widerstand einer christlich geprägten Gesellschaft, geschweige denn der Kirchen zu erfahren. Und dies, obwohl durch solche ,Rechts'konstruktionen-, um 2000 Jahre zurückdatiert, das ganze Evangelium umgeschrieben werden müßte: Jesus hätte sich danach nicht in Galiläa und wohl auch nicht in Jerusalem aufhalten dürfen.
3. Marginalisierung wirkt unvermeidlich auf das Selbstbild des Armen: selbst bei hoher Leistungsbereitschaft, Intelligenz und Moralität sieht er sich in der Regel als Versager und Schuldigen, der Besseres als sein Los kaum verdient habe. Dies wird dann - selbst von professionellen Armenhelfern - als Beweis gegen ihn und für die Richtigkeit der gesellschaftlichen Abwertungen angeführt. So wolle ja z. B. der Wanderarme sein Leben „gar nicht anders haben" und wisse - so besonders christliche Armenhelfer - selbst mehr „von seiner Schuld zu sagen", als es „bloß" humanistische „Sozialromantiker" wahrhaben wollten. Das durch gesellschaftliche Verdrängungen, Unterdrückungen und Schuldurteile verformte Selbstbild des Armen muß so als Zeuge gegen ihn und gegen die herhalten, die u. U. nichts als Gerechtigkeit für ihn fordern.
4. Der verdrängte Arme ist der verkleidete Arme. Verkleidungen können Schutz bedeuten, den der Arme ganz besonders braucht, Masken, die ihn weniger verwundbar machen. Der ‚fröhliche Vagabund' gehört in diese Reihe ebenso wie der bürgerschreckende Stadt- oder der demütig-fromme Landstreicher an der Pfarrhaustür. Viele Verkleidungen entsprechen nur zu genau verbreiteten Erwartungen an den Armen. Eben in der Anpassung an sie verstärkt sich ihre Schutzwirkung für ihn.
Zugleich aber werden die Verkleidungen des Armen - z. B. auch die des „ständig trinkenden" oder „ewig ausweichenden Nichtstuers" für einen alkoholkranken, arbeitslosen, entmutigten Wander- oder Stadtarmen - wiederum als Argument gegen ihn gewendet. Sie bieten Nistplätze für Schuldvermutungen und -Zuweisungen, die den Armen als Armen verschwinden lassen. Sie dienen so dem Interesse, der Armut nicht als Armut zu begegnen, sondern nur noch in der den Bürger entlastenden Verkleidung dessen, „der es ja nicht anders will".
5. Armut ist im Umfeld reicher Gesellschaften immer Armut, „die sich nicht rechtfertigen kann" (K. H. Marciniak). Sie hat zu ihrer Rechtfertigung nichts vorzubringen. Sie ist schlechthin bar dessen, was jeder andere Mensch als Argument und Schutz auch gegenüber eigenen Fehlern und Schwächen anführen könnte.
Der Arme ist, gemessen an der gesellschaftlichen Definition der Wirklichkeit: „gerechtfertigt ist, wer teilhat am Erwerb, an Sicherung und an der Vermehrung des allgemeinen Wohlstands", ein (Habe-) Nichts. Es ist schlechterdings unmöglich, über die Armut der Armen mit andern zu sprechen so wie z. B. über Handlungsweisen von Politikern, ohne zuvor den Armen entschuldigt zu haben etwa mit dem Hinweis auf seinen Fleiß, seine Krankheit oder sein ehrliches Bemühen. Dazu bedarf es gar nicht eines ausdrücklichen Schuldvorwurfs seitens der Gesprächspartner. Schon die Tatsache der Armut selbst, die fehlende Teilhabe an den Rechtfertigung gewährenden Normsystemen der Gesellschaft wie Arbeit, Familie, Besitz, Status genügt. Der Arme weiß dies. Dies erklärt die Geschichten, mit denen er sich vor den Türen verkleidet . Sie entstehen aus dem Rechtfertigungsdruck, der auf seiner Armut lastet. Der Arme ist der, der sich aus sich selbst allein rechtfertigen muß und nicht kann. Das Sich-nicht-aus-sich-sebst-rechtfertigen-Können gilt aber jeder christlich-reformatorisch orientierten Theologie als Existential jedes Menschen! Der Arme wird so gesehen zum Paradigma des Menschen vor Gott. Vielleicht ist es dies, was ihn anderen Menschen so unheimlich macht: die ungewollte Konfrontation mit etwas Vergessenem und Verdrängtem, und nun gar noch durch einen Bedürftigen, vielleicht Unansehnlichen.
6. Armut ist Mangel an Teilhabe, genauer: verweigerte und unterdrückte Teilhabe an religiösen, kulturellen, geistigen, politischen und wirtschaftlichen Gütern, an Besitz, Macht und Interesse. Besonders durch das letzte wird der Ausschluß des Armen aus der Gesellschaft der Habenden hermetisch. Nicht einmal seine ihm zufallenden Erfahrungen und Leistungen - und sei es die geduldige Anpassung an sein nicht gesuchtes Los - finden Interesse, geschweige Lob in der Gesellschaft der Habenden. Es würde das System der ungleichen Teilhabe stören.
Armut ist für Reiche nur zu ertragen, wenn sie von ihr nichts wissen und wahrnehmen müssen. Der Arme wird nur in den Verkleidungen des Schuldigen, des Kranken, des „Trinkers", des „Arbeitsscheuen", des „fröhlichen Vagabunden" ausgehalten. Dies kann als Kern seines Problems gesehen werden. Es ist aber, sieht man auf die darin eingeschlossene Korrumpierung des Realitätsbewußtseins, auch ein Problem der Habenden.
II. Wenn im Folgenden von Kirche und Theologie gesprochen wird, ist in erster Linie evangelische, insbesondere lutherische Theologie und Kirche angesprochen. Der Katholizismus führt durch seine Ordenstraditionen (,Armutsgelübde') sowie durch die uralte Aufgabe jedes Bischofs als „Vater der Armen" noch andere Zugänge zum Armutsthema mit sich, auch wenn diese das Denken und Handeln seiner reichen Kirchen nur noch peripher beeinflussen.
1. Kirche und Theologie haben an der Abwehr des Armutsthemas erheblichen Anteil. Ihr Widerstand dagegen tritt nicht unvermittelt auf. Er reicht zurück bis zu tiefsitzenden, schon in der Reformation wirksamen Verdrängungen, z. B. gegenüber der in der „Bauernbewegung' enthaltenen Armutsfrage. Er zeigt die Richtung unausweichlicher Veränderungen an, gegen die er sich zugleich sträubt.
Wie im Bereich von Kirche und Theologie nicht anders zu erwarten, treten Abwehr und Verdrängung gern in theologische Gewänder gekleidet auf, vor allem in der vermeintlich tiefsinnigen Verbindung zwischen der Armuts- und der Schuldfrage. Doch müssen derartige Argumentationen dabei immer mehr Realitätsbezug und -gehalt ablegen, um eine gesellschaftlich so grundlegende und für einen biblisch begründeten Glauben so entscheidende Realität wie Armut im eigenen Land aus dem Bewußtsein fernhalten zu können.
2. Der Konflikt um das Armutsthema während und nach der Synode der EKD in Garmisch-Partenkirchen 1981 machte dies schlagartig deutlich. Er entzündete sich am Bericht des Hamburger Missionswerks, welcher, gemessen am Diskussionsstand armer Kirchen und gemessen an der Aufgabe des Missionswerks, die Impulse und Erfahrungen aus der Welt des Hungers , der gewaltsamen Unterdrückung und der Armut in das eigene Land zurück zu spiegeln, überaus maßvoll genannt werden muß. Geschäftsordnungsdebatten, inhaltliche Nicht-Befassung und empörte Verurteilungen ohne Sachdiskussion waren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Instrumente der Abwehr.
Reizwort war der für eine ernsthafte Annäherung an das Armutsthema unverzichtbare Gedanke an eine „Umverteilung der Macht". Ihm gegenüber offenbarte die Synode ihre nahezu völlige Gebundenheit an den status quo der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse. Als deren Sachwalter sicherte sie zugleich den eigenen Status. Andere Denk- und Handlungsmodelle - etwa im Sinne der Kirche als Gegenüber zur Welt, als Schar der aus den Bindungen dieser Welt Herausgerufenen - wurden zur frommen Illusion. Statt dessen folgte bald der versuch, den Vorgang auch noch theologisch zu rechtfertigen durch das bischöfliche(!) Dekret, „Armut im oekonomischen Sinne" sei „kein theologisches Problem" (J. Heubach). Damit sollte gewiß die Eigenständigkeit der Theologie gegenüber allen ‚weltanschaulichen Tagestrends' gesichert werden. Im Wahrheit wurde die Auslieferung der Kirche an die herrschenden Mächte nur vollendet. Nun sollte auch im theologischen Denken nur noch die von Armut bereinigte gesellschaftliche Wirklichkeit Platz und Recht haben. Auf die Naßreinigung öffentlicher Plätze von lästiger Armut folgte die Trockenreinigung des theologischen Bewußtseins von „oekonomischer Armut".
Die Folgen reichen weit: die Kirche hört die Stimme der Armen nicht mehr, geschweige denn, daß sie, wie früher noch behauptet werden konnte, „der Mund der Armen" wäre. Viel wäre schon gewonnen, wenn sie zumindest „das Ohr der Armen" wäre. Sie stünde damit nah bei ihrem Herrn in seiner Nachfolge (vgl. z. B. Mk 10, 13 ff, 46 ff; Mt 15, 21 ff; 20, 29 ff). Doch im Versuch, das ,Eigentliche' der christlichen Botschaft ohne Hören auf die Armutsfrage zu bestimmen, liefert sich die Kirche umso sicherer dem .Zeitgeist' aus, nämlich dem Interesse der .Kinder dieser Welt' an der Sicherung des gesellschaftlichen status quo. Dies ist der Kern der Nicht-Diskussion des Themas „Armut und Macht".
3. Der Armut in der Bibel und der Armut Jesu Christi geht es nicht anders als der Armut überhaupt: sie wird übersehen, verdrängt oder als Nebensache behandelt. Die Kirche macht von diesem Umgang mit dem Armutsthema keine Ausnahme. Auch Armut in der Bibel ist „das, womit man alles machen kann". Sie kann von Christen, die in besitzende und besitzsichernde Gesellschaften tief verflochten sind, aus ihrem Blick und ihrem Hören ganz herausgedrängt und ihres geistlichen Charakters entkleidet werden. Dies ist nicht nur ein Erfahrungssatz, sondern geradezu eine Definition.
III. Wie die Heftigkeit und Grundsätzlichkeit der Abwehr ahnen läßt, berührt das Thema ,Armut' sehr empfindliche Punkte des kirchlichen Selbstverständnisses. Eine Reihe von diesen soll im letzten Abschnitt aufgewiesen werden.
1. Armut und Arme im Lande widerlegen den Anspruch der Kirche, „für alle" Schichten und Glieder der Gesellschaft gleichermaßen offen zu sein. An den ständig von hermetischem Ausschluß Bedrohten wird er zur bloßen These. Die fromme Auskunft, daß noch der Abgewertetste der menschlichen Gesellschaft Geltung und Ansehen erfahren könne „vor Gott" und also auch im Raum der Kirche, trügt. Sie ist durch nichts gedeckt. Wie sollte sie auch, da ja selbst der Armut Christi im kirchlichen Denken hierzulande kein Raum gegönnt ist, - auch sie marginalisiert und aus dem Kreis derjenigen Aussagen verdrängt, die für den Glauben als unverzichtbar gelten.
Worten Jesu, die nur aus seiner Armut zu verstehen sind, geht es wie den Erfahrungen der Armen in und mit ihrer Armut. Sie verhallen ohne Echo in der Welt der Habenden. Kirche und Gesellschaft gehen achtlos ohne Interesse an den Einsichten und Erfahrungen der Armen, an ihrer unter extremen Bedingungen bewährten Moralität und Leidensfähigkeit vorbei. Die Fülle der neutestamentlichen Aussagen, die aufgrund überwältigender Erfahrungen mit Jesu Geist zum Glaubensbekenntnis armer Menschen zu ihm geführt haben (vgl. z. B. 1. Kor. 12 ff; Röm. 12 ff), werden um die Armutsdimension verkürzt gelesen. Die Früchte des Geistes Gottes im Leben der Armen werden aus dem Lobpreis der Gemeinde ausgeschlossen. Die bürgerlich gewordene Gemeinde wird an ihrem eigenen Geiste satt und stirbt.
Spiritualität, nach der heute oft so marktschreierisch gesucht und gefragt wird, ist nicht auf dem Wege der Abschirmung und Flucht vor sozialen Konflikten wiederzugewinnen. Sie würde damit nur den gesellschaftlichen Ausschluß der Armen geistlich wiederholen und vollkommen machen. Mit der Armutsfrage verdrängt die Kirche den ihr von ihrem Herrn gewiesenen Weg der Spiritualität, der mit der Hinwendung zum Armen beginnt und endet. Nur in der Begegnung mit dem Armen ist Demut echt.
2. Armut und Arme im Lande und ihr Ausschluß aus dem Denken und Glauben machen den Anspruch von Theologie und Kirche zunichte, auf der biblischen Botschaft, auf ihr allein und in allen entscheidenden Stücken aufzubauen. Kirchliche Vertreter unterliegen dabei, z. B. im oekumenischen Dialog, nicht selten dem Kurzschluß: weil sie die Schriftgebundenheit allen Redens und Handelns als reformatorisches Erbe verträten, sei ihr Reden und Handeln auch schon schriftgebunden. Das Armutsthema deckt diesen Irrtum auf.
Vollends in den letzten 100 Jahren ist angesichts des Themas ,Armut' aus dem reforma-torischen Schriftprinzip ,sola scriptura' ein: „die Schrift, soweit sie unsern Lebensnormen entspricht" geworden. In dogmatischen und exegetischen Lehrbüchern und Forschungen dieses Zeitraums spielt das Thema eine untergeordnete oder keine Rolle. Im Jahr 1854 verzeichnet ein bedeutendes Lexikon - das Stichwort ,Armut' fehlt ganz - unter dem Stichwort ,Arme': „Arme gab es allezeit in Israel. . . Eine Gesetzgebung, welche die Armut zu verbannen imstande wäre, hat noch niemals existiert und ist undenkbar; . . (die mosaische Gesetzgebung) setzt voraus... dieses notwendige Übel der bürgerlichen Gesellschaft; (sie) . . berücksichtigt die Armut in richtiger Berechnung der menschlichen Schwächen und aus Erbarmen mit den Unglücklichen wie aus Fürsorge für das Gemeinwesen" (Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. Hgg von Herzog, 1. Aufl. 1854, Bd I, S 506f) .
Trotz der ungeheuren, das vorige und das 20. Jahrhundert schlechthin beherrschenden Entwicklung der sozialen Probleme und der praktischen wie theoretischen Auseinandersetzung um sie läßt sich die Behauptung wagen, daß Kirche und Theologie hierzulande im Durchschnitt über die Sicht, wie sie das Lexikon klassisch formuliert, kaum hinausgekommen sind. Ganz gewiß gilt dies für ihren Umgang mit den Armen. Die Hilfeformen der Diakonie z. B. haben sich auf diesem Felde im Prinzip kaum verändert. In der Hierarchie der kirchlichen Werke steht die Armenhilfe unverändert an letzter Stelle. Entsprechendes zeigt sich am Stellenwert der Armutsfrage im Selbstverständnis der Gemeinden und in ihrem Glaubens- und Christusverständnis.
Die oft - so auch das Lexikonzitat - zu hörende Auffassung, Armut sei ein unabwendbarer Begleiter jeder Gesellschaft, und die daraus stillschweigend gezogene Folgerung, deshalb geschehe dem Armen, wenn seine Armut unabwendbar fortdauere, auch kein Unrecht, hält sich unbeirrt gerade im kirchlichen Raum. Hier gibt es keine Bischofsworte - es sei denn bestätigende - oder Denkschriften. Und doch spottet kaum eine Ansicht so wie diese der biblischen Botschaft und Weisung.
Besonders gern beruft sich diese ,Lehre' auf Jesu Wort „Arme habt ihr allezeit bei euch" (vgl. Mk 14, 7; Mt 26, 11). Sie unterstellt Jesus damit die Proklamation einer schicksalhaften Gesellschaftstheorie - und das im Umkreis seiner Leidensgeschichte, mit der er doch, wie kirchliche Lehre sagt, mit den schicksalhaften Zwängen menschlichen Daseins den Kampf aufnimmt und diese zerbricht. Die Stellung dieses Wortes von den Armen in einem Kernstück der Evangelien (Passion) will jedoch im Gegenteil dem Armutsthema die Aufmerksamkeit der Gemeinde für alle Zeit sichern. Und nicht im mindesten erlaubt es ihr, die Armen mit Hilfe einer solchen ,Gesellschaftstheorie' zu marginalisieren. Es legt der christlichen Gemeinde die Armen, Jesus selbst als Armen eingeschlossen, ans Herz, nicht anders als die Botschaft seines Sterbens und sein letztes Mahl als sein Vermächtnis. Unzweifelhaft steht dieses Wort, wie Jesu Handeln überhaupt, in der prophetischen Tradition des Alten Testamentes, die sich mit ihrem Kampf gegen die Armut bis in die ältesten Schichten der israelitischen Gesetzgebung zurückverfolgen läßt (vgl. z. B. 2. Mose 22, 24; 23, 3.6; 5. Mose 1 5, 4 ff).
3. Die Fülle der biblischen Armutsaussagen läßt sich hier nicht annähernd wiedergeben. Ohne Berührung mit Theologie und Bibelstudium anderer Kirchen aus der Oekumene wäre sie auch wohl in Deutschland kaum bewußt. Selbst so ist sie es vorerst vergleichsweise wenigen. Neueste Übersetzungen und eigenständige Untersuchungen aus der deutschen Theologie erschließen seit einigen Jahren zunehmend diesen biblischen Kontinent ( vgl. z. B. N. Greinacher, Die Kirche der Armen. Zur Theologie der Befreiung. Serie Piper 196. 1980. Julio de Santa Ana, Gute Nachricht für die Armen. Die Herausforderung der Armen in der Geschichte der Kirche 1979. L. Schottroff/W. Stegemann, Jesus von Nazareth. Hoffnung der Armen, Urban TB 639. 1978. Ronald J. Sider, Der Weg durchs Nadelöhr. Reiche Christen und Welthunger. ABC TB 3122. ^ 1980. W. Stegemann, Das Evangelium und die Armen. Über den Ursprung der Theologie der Armen im Neuen Testament. Kaiser Traktate 62. 1981. Albert Tevoedjre, Armut. Reichtum der Völker. 1980).
Durchgehendes biblisches Motiv ist: Armut, reale Armut ist ein Skandal vor Gott. Dies wird, geschichtlich gesehen, zum Problem seit der Vergabe des ,Gelobten Landes' an Gottes berufenes Volk. Als solches ist sie, die „Armut im oekonomischen Sinne", selbst ein eminent geistliches und theologisches Problem. Sie ist ein den geistlichen Stand des Gottesvolkes berührender Skandal, nämlich der ungleichen und ungerechten Verteilung göttlicher Gabe durch Menschen.
Damit verbindet sich von Anfang an ein zweites: Armut ist Skandal auf dem Hintergrund der Befreiung Israels aus Armut und Unterdrückung in Ägypten. Die dort durch Gottes Hilfe Befreiten lassen unter ihresgleichen Armut und Unterdrückung, Entrechtung und Marginalisierung zu. Der geistliche, Gottes Geist verleugnende Charakter dieser gesellschaftlichen, politischen Entwicklung ist Thema der Propheten. Es steht für sie weit über kultischen Problemen. Ihr Kampf gilt denen, die sich der Verantwortung gegenüber der Armutsfrage, auch mit Hilfe kultischer Rituale, entziehen (vgl. z. B. Jes 1, 10 ff; 3, 13 ff; 10, 1 ff; Hos 6, 5 ff; Am 2, 6 f; auch Ps 72, 12 ff).
Jesus deckt das Ärgernis der Armut auf, indem er sich mit Gott und als Gottes Offenbarer auf die Seite der Armen stellt und selbst arm wird. Programmatisch stellt die frühe Gemeinde noch vor den Bericht von seiner Geburt den Lobgesang, der neu ausspricht, was dem Alten Testament selbstverständlich war: Gott steht bei den Armen und gegen die, die Armut produzieren, rechtfertigen und marginalisieren (vgl. Lk 1, 46 ff).
4. Armut und Arme im Lande stellen der Kirche die Frage nach dem ersten Gebot. Denn der Gegenbegriff zur Armut ist - auch biblisch - nicht Reichtum, wie oft und nicht ohne abschätzigen Unterton behauptet und den Armen als Kern ihres Mangels oder als Ziel ihres Protestes unterstellt wird, sondern: Macht. Armut entsteht nicht und wird nicht aufrechterhalten ohne den Einsatz von Macht, Wirtschafts-, Jurisdiktions- und Meinungsmacht. Macht aber ist, zumal in reichen, demokratischen Staaten, an Habe und Teilhabe gebunden. Macht, die von Teilhabe ausschließt und verdrängt, ist dem Willen Gottes entfremdete und entgegenwirkende Macht. Weil jedes Haben Macht verleiht und an Machtausübung beteiligt ist, ist die Armutsfrage die schlechthin kritische Frage nach dem ersten Gebot, d. h. nach dem Besitz des Menschen und nach dem Gebrauch der ihm damit in die Hand gelegten Macht. In Jesu Gleichnissen und Gesprächen ist dieses Problem direkt angesprochen (vgl. z. B. Mk 10, 17 ff. 42 ff; Lk 12, 13 ff).
Die Verdrängung der Armutsfrage aus dem kirchlichen Bewußtsein stellt die Ausrichtung am grundlegenden Gebot Gottes in Frage. Indem diese Frage - ebenso wie die nach der Macht der Kirche und nach ihrem Machtgebrauch überhaupt - weithin tabuisiert wird, zieht sie die andere Frage nach sich, welchen Interessen kirchliches Denken und Handeln, wenn es entscheidenden biblischen Aussagen und Anfragen ausweicht, dann dient. Dies erscheint als die für die Kirche Jesu Christi über vieles andere entscheidende Frage, die auch den Kern der ersten Phase der Reformation ausmacht. In der Gestalt der Armutsfrage hat sie Kraft und Verheißung, die Kirche aus gottfeindlichen Bindungen und Irrwegen herauszulösen.
5. Ernst Käsemann hat in seinen zuletzt veröffentlichten Arbeiten Armut als drittes, seit der Reformation vernachlässigtes Wesensmerkmal der Kirche neben Verkündigung und Sakramenten gekennzeichnet (Kirchliche Konflikte. Bd I, 1982; vgl z. B. S. 30f. 38f. 243). Ein Umdenken der Kirche in dieser Richtung jedoch wird nicht gelingen, wenn es nur im Bereich des 3. Glaubensartikels versucht würde. Vielmehr gilt es, endlich, der Bibel folgend, Armut als Merkmal Jesu Christi und als bedeutungsvoll für seine Person und sein Werk zu erfassen.
Die neutestamentlichen Zeugen, insbesondere die drei ersten Evangelien und Paulus, sprechen hier eine eindeutige Sprache. Gott hat sich in einem Armen offenbart. Anders nicht. Paulus formuliert diese Aussage in genauer Entsprechung zu dem Phil 2, 6 ff zitierten Christuslied, also in der Sprache und Denkfigur eines Bekenntnisses resp eines Hymnus: „Ihr wißt, was Jesus Christus, unser Herr, für euch getan hat: Er war reich und wurde für euch arm; denn er wollte euch durch seine Armut reich machen" (2. Kor. 8, 9). Paulus stattet diese Aussage auffallend genug zweimal mit der Formel aus, mit der er den Kreuzestod Jesu und sein Abendmahl zu erfassen sucht: „für euch" (vgl. z. B. 1. Kor. 11, 24 und 15, 3). In solcher Formulierung nur den allgemeinen Hinweis auf die ,Menschwerdung' zu sehen (E. Lohse), stellt das Gefälle der paulinischen Aussage vom Allgemeinen zum Besonderen auf den Kopf und reißt sie aus ihrem sehr konkreten Zusammenhang. Das dahinter stehende Interesse an der Marginalisierung einer so gewichtigen biblischen Aussage läßt sich ahnen. An der Armut Jesu und an seiner Frage nach dem eigenen Besitzstand kommt niemand vorbei, der ernstlich in seiner Nachfolge leben möchte. Die Evangelien beschreiben es auf vielen Seiten. Und andere biblische Autoren ihnen gleich (z. B. Paulus, Jakobus). Der Frage auszuweichen würde bedeuten, Christus zu verlieren. Christusverlust ist denn auch der tiefste Schaden, den die Verdrängung der Armutsfrage aus dem Bewußtsein reicher Christen bewirkt. Wenn sich die Kirche nicht um ihres Herren willen dieser Frage wieder öffnet, wird sie es überhaupt nicht tun und zu seiner Gegenkirche werden.
6. Die Armutsfrage stellt die reformatorische Tradition in Frage, Zentrum und Wesen allen Übels in der Welt sei ,die Sünde' des Menschen im Sinne der persönlichen Schuld (vgl. Luther: „denn wo Vergebung der Sünden ist, da ist Leben und Seligkeit"). Unerörtert mag hier bleiben, wieweit die Reformatoren an dieser Sicht ursächlich beteiligt sind. Unbestreitbar spielt sie aber in breiten Schichten des Protestantismus heute eine große Rolle. Die Armutsfrage entlarvt diese Tradition jedoch als eine unbiblische, theologisch nicht zu verantwortende Engführung.
Denn das Übel in der Welt ist nicht allein die Sünde des Menschen vor Gott. Übel ist auch das ihm ohne jede Sünde auferlegte Leid. Hiob ist ein unübersehbares Beispiel dafür. Ein Übel ist vor allem aber auch die dem Menschen ohne eigenes Zutun von anderer Hand geraubte Freiheit (vgl. z. B. die nordamerikanischen Sklaven einst oder die südafrikanischen Farbigen heute).
Wer mit Armen umgeht, weiß, wie unwürdig und ungerecht die Suche nach ihrer persönlichen Schuld - an ihrem Los! - ist. Es ist das, was ihre Gottesebenbildlichkeit zutiefst verletzt (vgl. M. Frisch, Andorra). Armenhilfe muß oft im Gegenteil daran arbeiten, daß sich der Arme vom eigenen Schuldvorwurf löst, er habe sein bitteres Los selbst zu verantworten. Gleichwohl sind Armenseelsorge und -hilfe noch vielfach in der genannten Engführung befangen. Dies erklärt zugleich ihre Blindheit und die Gleichgültigkeit der Kirchen gegenüber den Fragen sozialer Rechte, etwa hinsichtlich der Sozialgesetzgebung, der Rechtsprechung oder dem Ausbau sozialer Armenhilfe.
In dieser Frage wird ein Bruch der heutigen Kirche mit dem Ansatz der Reformation erkennbar, der vermutlich als Reaktion auf die französische Revolution endgültig wurde: der Bruch mit einem Denken, welchem das Recht des Nächsten als ein ihm von Gott gnädig zugeordneter Schutzraum seines Lebens und seiner Würde heilig war. An die Stelle solchen Rechtsdenkens sind in Kirche und Diakonie vielfach ,barmherzige' Ordnungen getreten, die letztlich sich selbst als Recht setzen und so - gewollt oder ungewollt - vom Recht für alle ausschließen (vgl. H. Drude, Recht und Barmherzigkeit, in: Gefährdetenhilfe 3/82, Dokumentation Jahrestagung EFN 82, S. 3 ff). Gerechte Sozialpolitik und -praxis aber kann um dieses Zusammenhanges willen ohne die prophetische Stimme der Kirche nicht gelingen. Dazu muß allerdings die oft geringschätzige Sicht der Sozialpolitik und der ,nur' sozialen Rechte, wie sie in vielen kirchlichen Kreisen gang und gäbe ist, abgebaut werden.
7. Die Armutsfrage bestreitet der Kirche und ihrer Theologie ihre angeblich überparteiliche, für alle offene und zugleich über allen vermittelnd stehende Position. Sie macht sie zur bloßen Behauptung. Sie hat dazu wie sonst kaum etwas das Recht. Denn die genannte Position der Überparteilichkeit führt für sich selbst nicht selten ausgerechnet ein armutstheologisches Argument ins Feld. Gemeint ist die Formel „arm vor Gott". Sie soll, so will es kirchliche Meinung, arm und reich. Habende und Nicht-Habende, schuldig Tätige und unschuldig Leidende gleichermaßen umschließen.
In dieser Position vollendet sich die Flucht aus der Verantwortung für die himmelschreienden und nur durch Machtmißbrauch gerechtfertigten sozialen Unterschiede in dieser Welt. Indem die Kirche diese „überparteiliche" Position bezieht, bestimmt sie ihren Standort. Sie will nicht arm und an der Seite der Unterdrückten sein, sondern um jeden Preis oben, über den Parteien. Das Übermaß an Unparteilichkeit erdrückt sie zwar und macht sie nicht selten unfähig, überhaupt noch Stellung zu nehmen, selbst nicht einmal mehr .überparteilich'. Dennoch will sie das Los des Armen, der gefoltert, entrechtet, getreten, verdrängt und unbeachtet leben muß, nicht teilen. Sie will nicht bei ihm, sondern über ihm und zugleich bei seinem Peiniger stehen. Sie will nicht Kirche Jesu Christi und mit ihm auf dem Weg zu seinem Kreuz sein. Sie will das Kreuz als Sieges-, Macht- und Markenzeichen tragen, aber nicht als Zeichen des Knechtes Gottes und der Menschen (vgl. Phil 2, 6 ff). Sie will die letzte Tiefe seines Offenbarungsweges nicht mitvollziehen.
Schon im 19. Jahrhundert verkümmerte die christliche Auseinandersetzung mit der Armutsfrage weithin auf die Formel „arm vor Gott", die natürlich ,für alle Menschen ohne Unterschiede' gelte. Die Formel wurde zunehmend zum Abwehrmittel gegen andrängende und bedrängende gesellschaftliche Realität. Sie wurde geradezu zur Rechtfertigung dafür, sich auf gesellschaftliche Gegensätze und Konflikte nicht weiter einzulassen. Sie trägt den Thron der kirchlichen Überparteilichkeit, mindestens auf einem Bein. Sie setzt Vermittlung anstelle von Mitleiden. Sie setzt das Einverständnis mit widergöttlichem Machtgebrauch anstelle des Kampfes um soziale Gerechtigkeit und um Freiheit für Unterdrückte. Sie will um den rechten Gebrauch von Macht und Gewalt nicht an der Seite der Unterdrückten, sondern nur auf Seiten der Unterdrücker ringen.
Die Kirche sucht - wie z. B. in der Anti-Rassismus-Frage - im Kämpfer für die Freiheit und im Armen den Schuldigen, den Sünder (vgl. oben III, 6), womit sie die vorgebliche Überparteilichkeit freilich selbst verläßt und entlarvt als das, was sie ist, nämlich als ängstliche und interessengebundene Verteidigung des status quo gegen seine Bestreiter. Sie spricht die Unterdrückten schuldig, um nicht an ihrer Seite gegen die Unterdrücker aufstehen zu müssen. „Alle sind arm vor Gott" ist die Zauberformel einer Gott ungehorsamen, Gott leugnenden und sich an seine Stelle setzenden Kirche.
Die Bibel vergibt den Ehrentitel „arm vor Gott" nicht an Unterdrücker. Sie usurpiert ihn nicht für die Interessen der Herrschenden. Sie würde dem Armen sonst die letzte Zuflucht rauben, der trotz allem, was gegen Gottes Gerechtigkeit spricht, am Vertrauen zu ihm festhält. Dem Armen allein gilt dieser Ehrentitel. Er öffnet ihm eine Tür der Hoffnung und der Zuversicht, daß, wenn schon alle ihn im Stich lassen einschließlich der Kirche Gottes, Gott selbst den Kampf für den Armen und seine Würde kämpfen wird, so wie er es in der Gestalt und Sendung Jesu Christi bereits getan hat.

Eine Kirche, die der Armutsfrage weiterhin ausweicht, kämpft gegen diesen Gott. Sie kann ihre Gottesferne nicht überwinden, solange sie der Armutsfrage sich verschließt.

(erstmals abgedruckt in: Die Mitarbeit. Zeitschrift zur Gesellschafts- und Kulturpolitik. 32. Jahrgang, Heft 1. Göttingen 1983, S.9 -18; überarbeitete Fassung)

 

<table><tr><td> <h1>Zusammenfassung: ! ()</h1> <h3></h3> <p>Homepage von Hartwig Drude</p> <br> <a href="http://www.motorradmenge.de/impress/2003/2003-03-15/vorschaubilder/031_-_Die_Kawasaki_ZX-6R_vor_dem_Burnout.php"> &amp; </a><br>