Zu Franz Schuberts Es-Dur-Messe

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1. 1825, drei Jahre vor seinem frühen Tod, schrieb Franz Schubert in einem Brief an seine Eltern: „Auch wunderte man sich sehr über meine Frömmigkeit, die ich in einer Hymne an die heil. Jungfrau ausgedrückt habe (es ging um das berühmte ‚Ave Maria') und (die), wie es scheint, alle Gemüter ergreift und zur Andacht stimmt. Ich glaube, das kommt daher, weil ich mich zur Andacht nie forciere und, außer wenn ich von ihr unwillkürlich übermannt werde, nie dergleichen Hymnen oder Gebete componiere; dann aber ist sie auch gewöhnlich die rechte und wahre Andacht."

„Andacht" erscheint hier bereits völlig losgelöst von Gottesdienst und Liturgie. Umso näher steht sie dafür dem schöpferischen Augenblick und den Momenten der völligen Übereinstimmung des Komponisten mit sich selbst und seinem Tun. Dieses sehr persönliche Bekenntnis lässt sich, so meine ich, auch auf die anschließend erklingende letzte Meßkomposition des 31-Jährigen übertragen.

 

Liebhaber der Kirchenmusik hatten kurz zuvor einen Verein zum Zwecke ihrer Förderung gegründet und Schubert um eine Komposition gebeten. Dieser Bitte verdanken wir eines seiner reifsten und bewegendsten Werke. Schuberts persönliche Einstellung, die Anfrage der musikbegeisterten Zeitgenossen und das Werk, mit dem er sie beantwortete, weisen mitein-ander in die gleiche Richtung, nämlich über den Rahmen einer reinen Gottesdienstmusik weit hinaus, ähnlich wie schon Beethovens „Missa solemnis" fünf Jahre zuvor. Zwar knüpft Schubert an traditionelle Formen gottesdienstlicher Musik an - etwa mit den mehrfachen a-capella-Passagen des Chors (sozusagen im Palästrina-Stil), darüber hinaus vor allem mit den zwei großen Fugen am Schluß des ‚Gloria' und des ‚Credo'. Aber was unter seinen Händen insgesamt entstand, ist eine große musikalisch-sinfonische Gestalt, hörbar z. B. auch am ungewöhnlichen Einsatz dreier Posaunen, der diese Messe mit der größten Sinfonie Franz Schuberts verbindet. So ist hier ein sehr persönliches Bekenntniswerk entstanden, das zugleich höchste Kunstansprüche erfüllt.

 


2. Wie die Entstehung und die Gestalt des Werkes, so spiegelt auch der Umgang des Komponisten mit den altehrwürdigen Texten der Messe Schuberts Eigenwillen und geistige Unabhängigkeit. Wie in allen seinen Messen lässt er auch hier im ‚Credo' die Worte aus: „ich glaube eine heilige, allgemeine und apostolische Kirche" . Ebenso fehlt die Wendung: „ich erwarte die Auferstehung", ebenso bereits im ersten Artikel: „den allmächtigen Vater", eine Gottesbezeichnung, die Schubert allerdings im ‚Gloria' unangetastet ließ. Umso deutlicher unterstreicht er durch mehrfache Wiederholung des Wortes „credo" = "ich glaube" sein Einverständnis mit den verbliebenen Aussagen.

 

Noch freier geht der Komponist mit dem Wortlaut des ‚Gloria' um. Auch hier lässt er zwei Wendungen fallen: „nimm an unser Gebet" und „der du sitzest zur Rechten des Vaters". Doch umso inständiger und eindrücklicher gestaltet er die Gebetsbitten „miserere nobis" selbst und die Anrufung Christi als „Lamm Gottes" und „Sohn des Vaters".

Bedeutungsvoller noch als das, was Schubert ausließ, könnte aber sein, was er hervorhob. So komponiert er das - in der Vorlage nur einmal erscheinende - „Gratias agimus" = „wir sagen dir Dank" fünfmal. Danach wiederholt er nochmals den Anfang des ‚Gloria' und dessen erste Lobpreisungen, ehe die Bitten um das „Erbarmen" erklingen.

So erscheint diese Messe, nimmt man das ‚Kyrie' und das abschließende ‚Agnus Dei' hinzu, als ein großer sinfonischer Dank-, Lob- und Bittgesang.


3. Und noch ein Letztes: Es scheint mir, als habe Schubert in seiner letzten Messe den Partien, die von Jesus Christus sprechen und ihn anrufen, besonderes Gewicht gegeben. Dies ist zu hören bereits am „Christe eleison" im ‚Kyrie', dann an den schon genannten Christus-Anrufungen im ‚Gloria', nicht zuletzt aber an den auf die gleichen Worte noch einmal überaus eindringlich komponierten Bittrufen im abschließendem ‚Agnus Dei'. Vollends hörbar wird es an den Partien der Solostimmen. Ihnen sind - im Wechsel mit dem Chor - zwei für den Christusglauben im Messetext zentrale Stücke „Et incarnatus est" und „Benedictus" anvertraut. Dem melodischen und harmonischen Reichtum, der Dichte und Schönheit dieser beiden Partien dürfte nur Weniges in der Kirchenmusik der Christenheit an die Seite zu stellen sein. So bilden das Gedenken und die Anrufung Christi so etwas wie eine Achse in Schuberts letztem großen sinfonischen Dank- und Bittgesang.

Wie der Komponist selbst Jesus Christus sah, hat er im gleichen Jahr wie dem des Eingangszitats ausgesprochen. Nachdem er in den Alpen am Gedenkort einer Schlacht ein Kreuz aufgerichtet gesehen hatte, schreibt er: „Du herrlicher Christus, zu wie viel Schandtaten musst du dein Bild herleihen. .. Da stellen sie dein Bild auf, als wollten sie sagen: Seht! die vollendetste Schöpfung des großen Gottes haben wir mit frechen Füßen zertreten." Hier wird die Stimme eines einzigartigen, eines aufgeklärten, tief humanistisch denkenden und fühlenden Künstlers hörbar, die sich gegen jeden Missbrauch des Christusbildes ausspricht und eintritt für die Achtung vor dem missbrauchten und entehrten Menschen als Gottes Geschöpf.

Die zertretene Schöpfung Gottes mit höchster Kunst und Schönheit wieder zu Ehren zu bringen - es könnte das geheime Ziel Schuberts beim Komponieren seiner letzten Messe gewesen sein.

 

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