Predigt am Ostersonntag

24. April 2011, in Quickborn
Text: Matthäus 28, 1 - 10 (gelesen nach Walter Jens)

Liebe Gemeinde,
heute abend wird in der Dannenberger Kirche erstmals eine bisher noch nie gehörte Musik erklingen, ein ‚Oster-Oratorium'. Es wurde erst im vorigen Jahr vollendet. Vor gut zwei Jahren bat mich der Komponist, ihm dafür einen Text zu liefern.
Ohne die Erzählungen der Bibel, ohne die Psalmen des ersten Testaments und
ohne die Choräle unseres Gesangbuchs wäre dies für mich nicht lösbar gewesen. So aber kann das Werk zum ersten Mal erklingen.

Hier, im Ostergottesdienst, hilft mir das alles wenig. Denn eine Predigt - ohne Sänger und Orchesterklang - ist etwas anderes als ein Konzert. Hier kann ich keinen anderen die Worte, die sie zu singen oder zu sprechen haben, in den Mund legen. Hier warten Sie zurecht auf meine Worte jetzt und heute. Wovon kann ich sprechen an diesem höchsten Feiertag, dem trotz Weihnachten doch immer noch gewichtigsten und einzigartigsten Fest der Christenheit? Übersteigt seine Botschaft nicht alles Sagbare von vornherein? Und bleiben andererseits nicht alle Worte, die dennoch davon zu sprechen suchen, eben - Worte? Was ist denn greifbar an der Osterbotschaft - außer Worten?

In dieser Spannung steht das Fest. An seinem Ursprung stehen nun einmal -
nach Bangen, Schrecken und Verstummen - Worte. Aber es geht doch um mehr
als bloße Worte: es geht um starke Verheißungen, die in unser Leben hineinwirken, um Anstöße, die unsern Glauben, unser Innerstes berühren, die Gottesfrage und die Menschheitsfrage. Lassen Sie es mich also doch versuchen.

Zunächst läßt sich etwas erzählen - z. B. von den Frauen, ohne die alles anders verlaufen wäre. Sie waren die ersten, die am Grabe standen und die unerhörte Botschaft vernahmen. Sie, nicht die Jünger, die sich noch immer angsterfüllt verstecken, bilden die Brücke zwischen Kreuz und Auferstehung, zwischen irdischer Nachfolge und dem Glauben an Jesus. Sie waren es, die die Jünger
aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit herausführten und ihnen vorangingen. Eine Kirche, die Frauen immer wieder in die zweite Reihe stellt, ist ganz sicher keine österliche. Sie hemmt Aufklärung und Aufbruch.

Die Frauen aber gehen unbeirrt im ersten Frühlicht ihren Weg. Sie wollen Trauerarbeit leisten, Liebe und Treue zum Ausdruck bringen. Allerdings - sie wollen auch wohl nicht loslassen, was doch alle diejenigen lernen müssen, die einen Menschen begraben haben. Soweit sind sie noch nicht. Deshalb er-
schrecken sie der Engel und das leere Grab. Sie stehen buchstäblich vor dem Nichts ihrer Wünsche. Nicht einmal letzten Totendienst können sie mehr verrichten. Das macht sie - bei aller Courage - mutlos und schwach.

Mut, Hoffnung, Stärke müssen nun von anderer Seite kommen. Und sie kommen. Gerade diese Frauen sind es ja, die ratlos Gewordenen und Verzagten, die als erste hören dürfen, was geschah und was nun gilt: ‚Er ist nicht hier, nicht unter den Toten. Sein Grab konnte ihn nicht halten. Seine Wahrheit, seine Kraft sind nicht mehr zu zerstören. Und ihr dürft mit ihm gehen, ihm folgen, mit ihm leben.' Den Frauen traut der Bote Gottes zu, für diese Botschaft einzustehen gegen alle Zweifel, ja, gegen Hohn und Spott. Was immer auch die Jünger Jesu in den nächsten Zeiten für Erfahrungen machen werden - sie bleiben stets auf diese erste Botschaft und auf die Frauen, die ihnen diese überbrachten, angewiesen.

Ein zweites ist erwähnenswert: das Beben, als sie auf dem Wege waren. Wir horchen auf bei diesem Wort, in dem der ganze Schrecken unsrer Tage mit-schwingt: die Erinnerung an jenes Beben in Fernost, welches die riesige
Tsunami-Welle und dann das Unheil aus entfesselter Kernkraft auslöste.
Die Nachrichten davon entsetzen uns tagtäglich neu.

Damals, am ersten Ostermorgen, löste das Beben keine Flutwelle und keine Katastrophe aus. Doch es bereitete das Kommen eines Engels vor, der das Grab öffnete und die angstlösenden Worte sprach. Ist es da ausgemacht, dass in dem namenlosen Leid, das heute über Japan liegt, nicht auch eine Botschaft an uns steckt: eine Stimme, die zur Umkehr, vor allem aber und zuerst: zur Abkehr ruft von lauerndem Verderben, eine Stimme, die noch einmal Leben ermöglicht, Leben ohne einkalkulierte Vernichtungsdrohung? Gibt dieses Beben, diese Stimme Gottes vielleicht uns, der Menschheit, eine österliche Chance?

Ein Leben ohne Todesdrohung - ist es nicht das, was Ostern meint und was es sagt? Wieder sind es Worte, die uns das versprechen und uns dazu ermächtigen. Aber es sind Worte, die von Gottes Vollmacht sprechen. Was jetzt, von Ostern an, von Ostern her gesagt und geschrieben wurde - und das betrifft alle Worte des ‚Neuen Testaments' -, es sind Worte, die den Tod des Gottessohns und sein Grab hinter sich haben: Worte des Lebens. Das gilt von Ostern her selbst für die Worte, die Jesus längst zuvor auf seinem Erdenweg gesprochen hatte, und ebenso für alles, was über ihn aus dieser Zeit berichtet wird. Hinter Ostern kommen wir nirgendwo zurück. Dies gilt sogar, wenn wir Jesus, den Rabbi aus Galiläa, auch
als Teil und als Mitgemeinten im ersten Teil der Bibel verstehen, für das ganze
‚Alte Testament', das eben nicht das alte, sondern das erste war und ist. Immer geht es um Osterworte, Lebensworte, Befreiungsworte.

Befreiungsworte? Ja, denn Ostern steht an der gleichen Stelle, an der die Juden ‚Pessach' = Passah feiern, ein Fest lebendigen Erinnerns an den ‚Auszug' aus Ägypten, an die Befreiung aus der langen Knechtschaft. In südlichen Ländern
heißt ‚Ostern' deshalb bis heute ‚Pascha' und ‚österlich': ‚paschalis". Unverändert feiern Juden dieses Fest Jahr für Jahr. Auch Jesus liebte es und hat es oft gefeiert.
Bis in die letzten Stunden seines Lebens tat er alles, um ‚'Pessach' noch im Angesicht seines Todes festlich zu begehen. Mit seinem letzten Mahl hat er dies
Fest und seine lösende und befreiende Botschaft uns Christen zum Vermächtnis gemacht.

Erst recht bekräftigt sein Auferstehen von den Toten die Zusammengehörigkeit
von Ostern und Pessach: Gott setzt aufs neue machtvoll ein Zeichen der Befreiung. Diesmal gar der Befreiung vom Tod, dem ‚letzten Feind'. Und daraus folgt etwas Atemberaubendes, auch mir noch Ungewohntes. Wir Christen sehen in Jesus ja den ‚Sohn Gottes', der gekreuzigt und begraben wurde. Was bedeutet dann aber seine Auferstehung anderes als - ich traue mich, es auszusprechen - eine Selbst-befreiung Gottes? Gott befreit in seinem Sohn zuerst sich selbst aus den Fesseln von Tod und Grab. Und damit gibt er sich und uns - der Gang des Evangeliums zeigt es - neue Handlungsmöglichkeiten, weiten Horizont und starke Hoffnung.

Liebe Gemeinde, es mag sein, daß sich etwas in uns gegen diesen Gedanken sträubt: Gott in den Fesseln von Tod und Grab. Ist er denn nicht, so ist uns
doch gewohnt zu denken, gegenüber alledem stets überlegen, unangreifbar,
wenn es um Tod und Ende geht? Möchten wir ihn uns überhaupt anders vorstellen? Doch es fragt sich, ob wir dann die Tiefe der Botschaft von Kreuz
und Auferstehung, die unerhörte Dimension dieses Geschehens, ausgeschöpft haben. Denn wenn es Gott selbst war, der Tod und Grab nicht auswich, so ist
sein Ostermorgen, seine Auferstehung wirklich Selbst-Befreiung, Durchbruch
und Beginn einer neuen Zeit. Nun erst zeigt Er sich ganz als der, der sich nicht fesseln und nicht einschließen lässt - in keinen Tod, in kein Gefängnis, keine Grabeshöhle, die Menschen jemals noch ersinnen und ergraben könnten.

Ostern - das Fest, durch welches Gott selbst seine Freiheit zurückgewinnt
und uns vor Augen stellt. Welch eine Botschaft! Wie oft schon haben Menschen ihn für sich beansprucht und ihn in ihre Herrschafts- und Durchsetzungsziele eingeschlossen. Wie oft haben sie ihn damit zu einem Gott tödlicher Macht-ausübung werden lassen. Wie oft wurde in seinem Namen gewaltsame und menschenverachtende Herrschaft gerechtfertigt, Glaubensverfolgung und Vernichtung ganzer Völker und ungezählter Einzelner. Immer wieder zeigte und zeigt der ‚Gottes'glaube solche Züge bis in unsre Gegenwart! Wir sehen es heute wohl besonders deutlich an den verzerrten und entstellten Formen des Islam,
durch die bereits mehr Muslime getötet wurden als Angehörige anderer Religionen - ähnlich wie zuzeiten des verzerrtesten und entstelltesten Christentums mit Ketzerfeldzügen und Inquisition, als tausende Mitchristen mitten in Europa verfolgt, gefoltert, hingerichtet wurden.

Gott selbst stellt Ostern seine Ehre wieder her, die Ehre dessen, der den Todes-
und Vernichtungsdrohungen, die sich auf ihn berufen, sein souveränes ‚Nein' entgegensetzt, jeder Hoffnung auf Leben, Freiheit und Gerechtigkeit aber ein starkes ‚Ja'. In diesem ‚Ja' bleibt Gott unserer Welt zugewandt. So ist Ostern auch sein Sieg über die Angst vor einer Welt ohne ihn. Das leere Grab war kein Beweis der Auferstehung. Einen solchen gibt es nicht. Das leere Grab war aber
und ist ein Hinweis auf den Gott, der sich befreit hat, auch und gerade von allem menschlichen Herrschen-, Besitzen- und Festhalten-Wollen, vom Tod und allem, was Leben bedroht und vernichtet.

Was dieses Fest verspricht, ist kein Besitz und lässt sich nicht zum Besitz machen. Da aber, wo die Worte, die davon erzählen, über uns Macht gewinnen, uns anrüh-ren und bewegen, da gilt: Gott bleibt in seiner Freiheit geheimnisvoll, nicht festzu-halten. Doch er lässt sich bitten, rufen, einladen - wie am Osterabend bei den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus: ‚Herr, bleibe bei uns'. Auch sie mussten es lernen: die sozusagen kindliche Nähe zu ihm in der Zeit zuvor zwischen Galiläa und Jerusalem ist ein für allemal vorbei. Von nun stellt Er Nähe her, wann er will und wo er will. Er erhört die Bitte seiner Jünger und kehrt bei ihnen ein.

Was die Frauen zuerst schreckte: ‚er ist nicht hier', ist also Folge von Gottes Freiheit. Und sie bedeutet eine Chance für alle Menschen. Denn nun ist der Gottesgeist von allen Grabesfesseln und -begrenzungen befreit und weht, wo
er will. Und er weht selbst in einer Welt, die sich in selbstverschuldeter politischer Unmündigkeit befindet und befand, wie in vielen Ländern unserer Tage. Ägypten etwa, das schon seit biblischen Zeiten als Land der Sklaverei und Sklavenhalter galt, - es ist jetzt dabei, sich selber zu befreien: Geist von Ostern, auch wenn wir noch nicht wissen, wo es endet. Aber den Weg zu unterstützen, den Weg der Selbstbefeiung, den Weg des Gottessohns, des Gottesgeists, das dürfen und das sollen wir im Licht von Ostern tun. Und ist nicht die Tatsache, dass auch bei uns im Land wieder lebhaft über Energie und Energiewirtschaft gesprochen wird, so etwas wie eine Selbstbefreiung unserer Gesellschaft von angeblich ‚alternativlosen' Sachzwängen, welche Geist, Erfindungskraft und Entscheidungsfreiheit lähmen und uns zu nichts als blinden Verbrauchern machen wollen? ‚Alternativlos' ist
kein österliches Wort. Es ist ein Wort der Glaubenslosigkeit.

Liebe Gemeinde, noch immer zählen wir die Jahre aller Menschen auf dem Globus nach dem Christusgeschehen. Anscheinend beginnen wir dabei mit seiner Geburt im sogenannten ‚Jahre Null'. Doch hat die Zeitenzählung in Wahrheit mehr mit Ostern als mit Weihnachten zu tun. Wir meinen damit doch die Jahre einer neuen Zeit, Jahre des befreiten und befreienden Gottesgeistes. Seither zählen für den Fortgang der Menschheitsgeschichte am gewichtigsten - gegen allen Augenschein - nicht Kriege, Regierungs- oder Wahlperioden, nicht Konjunkturzyklen, Finanz- und Wirtschaftskrisen, nicht Klimaperioden - wenn sie denn Perioden sind und keine Einbahnstraßen ohne Umkehr -, sondern Hoffnung und Vertrauen auf den österlich befreiten und befreienden Gottesgeist. Wir sind gefragt, ob wir uns der Botschaft des Ostermorgens zu öffnen, ihr zu folgen bereit sind und mit den ersten
Jüngern - Frauen und Männern - diesen Gottesgeist erwarten und erbitten.

Gründe, sich zu sorgen und - wie die Jünger damals, ehe sie die unerhörte Botschaft kannten, - ängstlich in die Zukunft zu blicken, gibt es auch heute
genug. Aber seit Gottes Ostermorgen gibt es noch weit mehr Grund, seinem
befreiten Geist viel zuzutrauen. Amen

 

 

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